Lehrplan-Anhänger schaffen Tatsachen

aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 23.02.2016

Initiative «Lehrplan vors Volk» ist zustande gekommen –
Bildungsinstitutionen machen weiter

Der umstrittene Lehrplan 21 muss möglicherweise dem Parlament oder dem Volk unterbreitet werden. Dennoch wird das Projekt vorangetrieben – zum Ärger der Lehrplan-Gegner. 

Isc. Der Lehrplan 21 ist in den letzten Monaten von links und rechts unter Beschuss geraten. In mehreren Kantonen sind wegen pädagogischer und politischer Vorbehalte Initiativen zustande gekommen, die eine Volksabstimmung erzwingen wollen – mit dem Ziel, das ehrgeizige Projekt der Eidgenössischen Konferenz der Erziehungsdirektoren (EDK) zu stoppen.
Auch im Kanton Zürich könnte der Souverän das letzte Wort haben. Wie die Staatskanzlei am Freitag mitgeteilt hat, ist die Ende November von Pädagogen, Kinderärzten sowie rechtskonservativen und jungfreisinnigen Politikern eingereichte Initiative «Lehrplan vors Volk» mit mehr als 6000 geprüften Unterschriften zustande gekommen.

Unbeirrt weitermachen
«Nun hoffen wir, dass möglichst bald abgestimmt werden kann», sagt SVP-Kantonsrätin Anita Borer namens der Initianten. Die maximale Frist von der Einreichung bis zur Abstimmung beträgt 30 Monate. Konkret verlangt die Initiative, dass nicht wie üblich der Bildungsrat, sondern der Kantonsrat über die Einführung des neuen Lehrplans entscheidet. Da der Entscheid des Parlaments dem fakultativen Referendum unterstellt werden soll, könnte es letztlich zu einer Volksabstimmung kommen – und allenfalls auch zu einem «Nein» zu den Bestrebungen der EDK, die Bildungsziele in den 21 Deutschschweizer Kantonen mit einem Katalog von Hunderten «Kompetenzen» zu vereinheitlichen. Trotz diesen Fragezeichen treibt die Bildungsdirektion die Umsetzung des «Jahrhundertwerks» (so Ex-Bildungsdirektorin Regine Aeppli) voran, als wäre nichts geschehen. Man mache «unbeirrt» weiter, erklärte Volksschulamt-Chef Martin Wendelspiess vor einem Jahr dem «Landboten».
An dieser Devise hat sich nichts ge- ändert. Auch der Bildungsrat hat just eine Stunde vor der Einreichung der Initiative im letzten November entschieden, den neuen Lehrplan ab Schuljahr 2018/19 einzuführen. Eine Antwort auf eine Anfrage von Anita Borer und weiteren Kantonsräten, ob es angesichts der drohenden Abstimmung nicht angebracht wäre, die Einführung zu sistieren, ist der Regierungsrat bis dato schuldig geblieben. Dafür hat der Bildungsrat dem Zürcher Lehrmittelverlag verschiedene Lehrmittel in Auftrag gegeben, die auf den Lehrplan 21 ausgerichtet sind, etwa «Gesellschaften im Wandel» oder «Kinder begegnen Natur und Technik» Die Initianten empfinden das als Affront. «Man versucht, vollendete Tatsachen zu schaffen, obwohl es noch gar keinen Auftrag gibt», sagt Anita Borer, «dabei wäre angesichts des Widerstandes ein Marschhalt angebracht.»

«What else?»
Fest steht, dass die Initiative keine aufschiebende Wirkung hat. Das Volksschulamt weist die Kritik aber auch inhaltlich zurück. In Sachen Lehrmittel gebe es keine scharfe Trennlinie «vor dem Lehrplan» und «mit dem Lehrplan», sagt Sprecherin Brigitte Mühlemann: «Der Anforderungskatalog für neue Lehrmittel war bereits vor dem Vorliegen des Lehrplans 21 in Richtung Kompetenzorientierung angelegt.» Zudem betont Mühlemann, dass der Lehrmittelverlag keine Subventionen beanspruche und sich selber finanziere – womit dem Kanton wegen der neuen Lehrmittel keine Mehrkosten entstünden. Tatsächlich werden andere die Kosten zu tragen haben, nämlich die Schulgemeinden. Sicher ist aber auch, dass der Kanton weiterhin für das unternehmerische Risiko des Verlags (mit)haftet. Denn die öffentlichrechtliche Institution soll zwar in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden, Mehrheitsaktionär wird nach dem Willen der kantonsrätlichen Bildungskommission aber der Kanton bleiben. Völlig am Markt vorbei sollten neue Lehrmittel also nicht produziert werden.
An den pädagogischen Hochschulen ist die Vermarktung des langersehnten, weil Aufträge generierenden Lehrplans 21 derweil in vollem Gang. So bietet die PH Zürich Kurse und Workshops an mit Titeln wie: «Lehrplan 21 – Nachhaltige Ernährung macht Schule» oder: «Lehrplan 21 und Sexualpädagogik? What else?» Die rhetorische Frage aus der Nespresso-Werbung ist offensichtlich nicht nur in sexuellen Belangen Programm.